ALBERNHEIT

Freezers viel zu kleiner Kopf poppte vor und zurück wie ein ratternder Punching-Ball. Ein Wunder, dass ihn die haltlosen Lachsalven nicht auf den runden Holzstehtisch knallen ließen, an dem er mit Bruno und Inka vor der „Fun-Hüttn“ stand, gleich neben der Mittelstation des Rabensteinlifts. Der eisige Wind hier oben hatte ihm die Kapuze vom Kopf gefegt und sein kahl rasierter winziger Schädel mit dem weit nach oben ragenden Mittelgebirge von Knochengrat wirkte noch nackter als sonst.

„Rie-sen-sla-lom!“ schrie er und seine Stimme, die trotz seiner 28 Jahre noch nicht der Pubertät entwachsen war, schoss auf der kurzen Strecke der vier Silben fauchend, raspelnd und kreischend wie ein liebestoller Kater kreuz und quer durch alle Register.

„Hmmmmpf,“ kam es in dumpf glucksenden Wellen unter Inkas Handschuhen hervor, die sie vor den Mund gepresst hielt – ob sie damit ihr Lachen am Austreten oder die Kälte am Eintreten hindern wollte, war nicht ganz klar. Ihre blassgrünen Augen (Bruno behauptete immer, sie seien gelb – „Voll mellow yellow!“) schwammen in einer trüben Tränensuppe, die bei jeder neuen Lachattacke überschwappte und schon tiefe Rinnen im verschmierten Schwarz-Rot-Gold ihrer spaßpatriotischen Kriegsbemalung hinterlassen hatte.

Bruno hielt mit seinen blaurot gefrorenen fleischigen Händen immer noch die leere Glastasse umklammert, aus der er den vierten Glühwein-mit-Schuss des Nachmittags geschlürft hatte. „Gigantentantenslalom! Zwergen-Super-G-point! Und nicht ein Flöckchen Schnee auf der Piste!“ schlotterte er. „Stromausfall! Das musste dir mal reinziehn! Stromausfall!! Alpinsport nur noch mit Schneekanonen! Wie geil ist das denn!?“

Wirklich waren die Hänge um sie herum mit dem trübseligen Grünbraun des letztjährigen Grases und nicht mit dem Schneegeglitzer bedeckt, das man Ende Januar auf Fünfzehnhundert Meter Höhe erwarten durfte. Die Pistenbegrenzungen begrenzten keine Piste, die Slalomstöcke steckten töricht im Modder wie Akkupunkturnadeln in einer Leiche, die feuerbereiten tonnenförmigen Schneekanonen, die überall in Stellung gebracht waren, waren nichts als klaffende Mäuler, aufgerissen in reglosem Staunen über ihre eigene Sinnlosigkeit.

Das also war der „Rabensteincup 2012“, zu dessen Besuch sich das Trio erst gestern entschlossen hatte, nachdem sie gehört hatten, dass Stefan Raab die Pistenlautsprecheransagen machen werde. „Ich piss mich an“, hatte Freezer angekündigt, „ich piss mich voll an, wenn der da in seinem Rollstuhl einläuft und immer noch einen auf witzig macht!“

„Soll ER doch runterrollern auf seinem Torbo-Wheelchair!“ schlug Bruno jetzt prustend vor. „Stell dir mal vor, der macht das echt! Und dann zerlegts ihn endgültig!“

Zu der Zeit war der seit seinem schweren Rennsportunfall vor 3 Jahren querschnittsgelähmte Unterhaltungskünstler natürlich schon längst wieder auf dem Weg zurück in die große Stadt, ebenso wie die wenigen Zuschauer, die sich zu diesem drittrangigen Sportereignis eingefunden hatten.

„Das find ich jetzt echt gemein“, wurde Inka plötzlich ernst. „Der ist schließlich auch nur…“

„War doch nur Spaß, Inka! Ist doch alles nur Spaß!“

„Na dann… – Ich finds trotzdem gemein.“

„Lachen, Inka, lachen!“ krächzte Freezer, packte sie an beiden Schultern und schüttelte sie wie eine steifgefrorene Stoffpuppe.

„Also gut,“ sagte sie und zog mit zwinkernden Augen geräuschvoll den Rotz in ihrer roten Nase hoch. „Also gut, dann lach ich eben.“